Aufwachsen im kommunistischen Lettland, ein Maulwurf im Liebestaumel und eine irrwitzige Achterbahnfahrt der Gefühle im Wochenbett: das und vieles mehr erwartet die Besucherinnen heuer bei „Tricky Women/Tricky Realities“. Das einzige Festival weltweit, das ausschließlich dem Trickfilmschaffen von Frauen* gewidmet ist, feiert 2021 (online) sein 20-jähriges Bestehen.
Die Kulturfüchsin hat die Festivalinitiatorin und -leiterin Waltraud Grausgruber zum (Telefon-)Interview gebeten und Interessantes über neue und alte Herausforderungen sowie anstehende Projekte und Festivalhighlights erfahren.
Schwierige Zeiten für ein Festival – jedoch nicht das erste Mal. 2008 stand Tricky Women/Tricky Realities kurz vor dem Aus. Nun feiert ihr inmitten der Coronakrise 20-jähriges Jubiläum. Wie ist es gelungen, ein doch so spezialisiertes Festival mit einem derart umfangreichen Programm durch die – oft stürmischen – Zeiten zu steuern?
Das wir heuer unser 20. Jubiläum feiern können, hängt vor allem mit unserer Begeisterung für die vielen fantastischen Animationsfilme zusammen, die uns jährlich erreichen. Dafür zu sorgen, dass diese auch unter dem Jahr ihr Publikum finden, motiviert uns ungemein. Auch wenn das Festival nach wie vor das Zentrum der Aktivitäten von Tricky Women bildet, so haben sich seit Bestehen viele Kooperationen gebildet. Wir arbeiten beispielsweise mit Museen, Galerien und Einrichtungen der Zivilgesellschaft wie die Gleichbehandlungsanwaltschaft und die Frauenberatungsstellen zusammen. Dadurch können wir auch unter dem Jahr Programme gestalten und dafür sorgen, dass die Filme dorthin kommen, wo sie gut gebraucht werden können.
Viele dieser Filme, von denen du sprichst, hinterfragen bestehende gesellschaftliche Verhältnisse und/oder beleuchten alternative Lebensentwürfe, erzählen von Krisen und Herausforderungen, den Frauen im alltäglichen Leben gegenüber stehen. Warum ist gerade der Animationsfilm dermaßen geeignet dafür dies zu tun?
Im Animationsfilm ist alles möglich. Er ist nicht an das Physische gebunden. Dadurch, dass ich so viele Techniken kombinieren kann, können nicht zuletzt unterschiedliche Räume geschaffen werden. Manche der Geschichten werden mit einfachen Zeichnungen erzählt – trotzdem oder gerade deshalb, gelingt es den Filmemacherinnen ein Thema oft in zwei Minuten auf den Punkt zu bringen. Wenn man sich zum Beispiel unseren diesjährigen Langfilm „My Favorite War“ von Ilze Burkovska Jacobsen anschaut – eine Kombination aus Real- und Animationsfilm – dann ist auffallend auf wie vielen unterschiedlichen Ebenen dieser funktioniert. Es gibt eine starke autobiographische Ebene, gleichzeitig ist der Film auch historisch ungemein informativ. Die Handlung erstreckt sich vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis ins Heute. Es geht nicht zuletzt darum zu zeigen, was es heißt im Lettland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufzuwachen und Widerstand zu leisten, mit all den Konsequenzen, die das mit sich bringt. Außerdem ist der Film visuell sehr ansprechend gestaltet.
Es wurde bereits angesprochen, dass der Animationsfilm über eine Vielzahl von technischen Möglichkeiten verfügt. Die Kombination von Real- und Animation, Stop Motion usw. Habt ihr über die Jahre eine Veränderung bemerkt? Wie viel ist heutzutage computeranimiert und welche Rolle spielen nach wie vor klassische Techniken?
Stop Motion ist nach wie vor aktuell. Was durchaus auffällig ist, ist, dass es mittlerweile öfters Mischformen gibt. Die Vielfalt der angewandten Techniken ist heute größer als noch vor zwanzig Jahren. Ein wesentlicher Faktor ist auch, dass ich mit der zunehmenden Leistungsfähigkeit der Computer andere Möglichkeiten habe. Rein am Computer anmierte Filme sind nur ein Teil dieser Vielfalt.
Habt ihr, was die Thematik anbelangt, in den letzten Jahren eine Veränderung bei den eingereichten Filmen bemerkt?
Etwas, das seit Anbeginn des Festivals ein großes Thema war und nach wie vor ist, ist die Geschlechtergerechtigkeit. Einfach, weil diese leider noch immer nicht Realität geworden ist. Was man aber sehr wohl beobachten kann, ist eine vermehrte Sensibilität dafür. Dass es beispielsweise in Cannes keinen oder kaum ein Film, der von Frauen gedreht wurde, im Wettbewerb gibt, ist heute nicht mehr so leicht möglich. Ein wichtiges Thema bei uns ist nach wie vor auch der weibliche Körper. Was heute natürlich eine weitaus größere Rolle als wie vor zwanzig Jahren spielt, ist das Digitale. Die damit einhergehenden Veränderungen unseres Lebens haben auch Einzug in die Filme gehalten.
Ist der Animationsfilm generell ein Genre, in dem mehr Frauen aktiv sind?
Es gibt viele Frauen, die im unabhängigen Bereich aktiv sind. Je größer die Produktion ist, je mehr Geld zur Verfügung steht, desto häufiger wird der Auftrag an einen Mann vergeben. In diesem Bereich sind Frauen nach wie vor stark unterrepräsentiert.
Eine eigene Schiene beim Festival ist das „Österreich-Panorama“. Wie hat sich der Animationsfilm in Österreich in den vergangenen Jahren (weiter)entwickelt? Eine eigene Schiene richtet sich zudem an die „Up-Coming Artists“. Wie ist die Ausbildungssituation für junge Filmemacherinnen im internationalen Vergleich?
Der österreichische Animationsfilm ist sehr lebendig. Wir erhalten jedes Jahr Einreichungen von jungen Künstlerinnen mit den verschiedensten Hintergründen. Im Österreich-Panorama zeigen wir einen bunten Querschnitt. Da sind Filme von Künstlerinnen dabei, die schon sehr lange in diesem Bereich arbeiten, aber auch Arbeiten, die in den Ausbildungsstätten entstanden sind. Was es hierzulande im Vergleich zu anderen Ländern nicht gibt, sind Ausbildungsstätten eigens für die Industry. Das liegt ganz einfach daran, weil es bei uns diese große Animationsfilm-Industrie wie sie beispielsweise in Frankreich oder in Amerika existiert, nicht gibt. In Österreich ist die Ausbildung an bestehende Kunstschulen angeschlossen. Es gibt zum Beispiel auf der Angewandten eine Klasse, die von Maria Lassnig gegründet wurde und derzeit von Judith Eisler geleitet wird, oder auf der Bildenden. In der FH in Hagenberg wurde ein Lehrgang geschaffen, der auf 3D spezialisiert ist.
Als das „Tricky-Women“-Festival gegründet wurde, war es weltweit das einzige, das ausdrücklich dem Trickfilmschaffen von Frauen gewidmet ist? Ist das heute noch immer so und wie bekannt ist das Festival mittlerweile international?
Es gibt heute zum Glück mehrere Initiativen beziehungsweise Organisationen, die den Fokus auf Frauen richten und damit die Arbeit von Frauen vermehrt ins Rampenlicht stellen. Ein Festival, das wie wir, über mehrere Tage geht, da sind wir allerdings nach wie vor weltweit einzigartig. Dass wir mittlerweile international sehr gut wahrgenommen und auch wertgeschätzt werden, sieht man vor allem daran, dass wir häufig eingeladen werden Gastprogramme zu gestalten oder als Jurorinnen in diversen Jurys zu sitzen. Eine Einladung an uns, ist natürlich auch ein Statement, dass der Fokus auf die Arbeit von Frauen für das jeweilige Festival wichtig ist.
In Kürze wird zudem die vierte Ausgabe unserer mit dem Außenministerium gemeinsam gestalteten Filmreihe anlaufen. Diese trägt aktuell den Namen „Von Reisen, Herzensangelegenheiten und Peripherien“ und wird in diversen österreichischen Botschaften oder deren Partnerorganisation im Ausland zu sehen sein. Es handelt sich dabei um eine Auswahl von Filmen österreichischer Künstlerinnen. Das ist natürlich auch eine schöne Werbung für uns und den österreichischen Animationsfilm.
Auch Österreich ist von der Coronakrise nicht verschont geblieben. Immer wieder ist auch hierzulande von einem Backlash die Rede (Frauen sind vermehrt arbeitslos oder in Kurzarbeit, verstärkt wieder zu Hause und für die Kinderversorgung zuständig usw.) Was bedeutet eine derartige Krise für Frauen im Filmschaffen?
Es ist generell eine Katastrophe wie sich die Pandemie auf die Frauen ausgewirkt hat. Dieses Thema wird uns sicherlich zukünftig auch in Animationsfilmen begleiten. Der Animationsfilm ist nicht zuletzt sehr politisch. Viele Filmemacherinnen haben gute Sensoren, was gesellschaftliche Zustände und Entwicklungen anbelangt. Was die Produktionsbedingungen betrifft, dürfte sich zumindest derzeit für die meisten Frauen, die im Sektor Animationsfilm arbeiten, wenig geändert haben. Viele Filmemacherinnen haben auch in der Vergangenheit von zuhause gearbeitet. Die Filme werden zumeist unabhängig produziert – ohne ein Studio im Rücken. Für diese Art der Filmproduktion benötigt es seit jeher einen langen Atem. In diesem künstlerischen Filmbereich passiert viel mit Hilfe von Förderungen. Teilweise werden die Arbeiten auch von der Community unterstützt. Das ist zum Beispiel bei Signe Baumane, die bis zu fünf Jahre an einem Langfilm arbeitet, der Fall. Durch finanzielle Unterstützung erhält man regelmäßige Einblicke in die Produktion, erfährt Updates und sieht was alles an Arbeit für den Film dahinter steckt. Baumane wird dieses Jahr bei uns eine Masterclass zu ihrem neuesten Filmprojekt „My Love Affair with Marrige“ halten. Nach Arbeiten zum Thema Sex und Depression kombiniert sie nun beides in einem Film über Ehe.
Baumane war in der Vergangenheit bereits Gast beim Festival. Heuer wird die Masterclass, sowie der Rest des Festivals, der Coronakrise verschuldet, erstmals digital über die Bühne gehen. Wann war klar, dass die Filme heuer leider nicht im Kino zu sehen sein werden? Was waren die Herausforderungen? Und wie sind die Erwartungen?
Nachdem wir letztes Jahr das Festival abbrechen mussten und verschieben heuer für uns keine Option dargestellt hat, war uns rasch klar, dass wir ein digitales Festival gestalten werden. Die Sehnsucht nach dem Kino ist natürlich sehr groß, einfach weil der direkte Austausch ein anderer ist. Zudem ist die Ausrichtung eines Festivals im digitalen Raum ein großer zusätzlicher Zeitaufwand, weil es noch aufwendiger ist das ganze zu organisieren. Ein Vorteil des Digitalen ist sicherlich, dass das Festival heuer – bis auf wenige Filme, wo wir die Rechte nicht haben – erstmals weltweit laufen wird. Nach dem Upload werden die Filme 48 Stunden zu sehen sein. Es wäre allerdings auch ein Irrtum zu glauben, dass nur weil ein Festival digital läuft, es billiger ist. Statt einem Kino und einer Moderatorin, die auf der Bühne steht, braucht es vermehrt Leute, die die Filme uploaden, schneiden usw.
Wie geht es dem Festival finanziell? Was würden Sie sich von den politisch für Kunst und Kultur zuständigen für die Zukunft wünschen?
Unser Budget hat sich seit 2008 nicht wesentlich verändert. Letztes Jahr gab es von der Stadt seit 14 Jahren die erste Erhöhung. Die ist allerdings allen Festivals zugute gekommen. Von Seiten des Bundes gibt es nach wie vor nicht mehr, auch wenn man bei der Förderstelle bemüht ist den Topf fürs Festival zu erhöhen. Mit mehr Geld kann man natürlich mehr machen. Dadurch, dass viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur während der Dauer des Festivals für uns arbeiten ist die Fluktuation sehr hoch. Es wäre schön mehrere fixe, über das Jahr durchgehende Arbeitsplätze schaffen zu können. Wir arbeiten auch während des Jahres mit unseren Kooperationspartnern daran, dass die Filme dort hinkommen, wo sie gebraucht werden. Derzeit planen wir unter anderem auch eine Bundeländertournee. Teilweise werden wir Filme aus unserem Geburtstagsprogramm zeigen, teilweise neue Programme entwickeln. Ziel ist es auch „My Favorite War“ im Sommerkino zeigen zu können.
Wie hat sich das Publikum über die Jahre entwickelt?
Unser Publikum war von Anbeginn stark gemischt. Sowohl was die Altersgruppen anbelangt als auch die Geschlechter. Vor ein paar Jahren haben wir das Festival auch für Transgenderkünstlerinnen geöffnet. Etwas, dass mir in den letzten Jahren sehr stark aufgefallen ist, ist dass Tricky Women an und für sich schon ein Statement ist. Alleine durch unseren Fokus sind wir sofort mitten im Thema. Ich glaube durchaus, dass man mit Animationsfilmen die Welt verändern kann.
Tricky Women/Tricky Realities
10. bis 14. März 2021
Online: https://trickywomen.mama.media/
Titelbild: „My Favorite War“ von Ilze Burkovska-Jacobsen (NO/LV 2020, 82 Minuten)
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